28.06.2012

au!94 - schwarzrotscheiße

eine sozialpsychologische Perspektiv:

"Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er Stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen." 
(Arthur Schopenhauer (per Jungle World Nr. 23, 7. Juni 2012))

"Selbst in der 'schönen neuen Arbeitswelt', die die Arbeitenden im Gegensatz zur tayloristischen Produktionsweise nicht mehr als Befehlsempfänger behandelt, sondern die Autonomie der Individuen und die ihnen zugestandenen Spielräume betont, sind die Einzelnen permanenten Beschädigungen ihres Selbstwertgefühls ausgesetzt. [...] die Individuen [...] im Zustand 'fortwährender Kritisierbarkeit'. Es verlangt permanente Leistungsmessungen und Fehlerevaluierungen, wobei die Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer einem kontinuierlichen 'Feedback'-Zwang unterworfen sind. So nötigt es die Subjekte zur Anstrengung der dauernden Selbstoptimierung, die sie, da alles noch besser, schneller und effizienter gemacht werden kann, ihr Ungenügen nur noch stärker spüren lässt. So produziert 'das Regime des unternehmerischen Selbst' (Bröckling) zugleich sein Gegenteil: das antriebslose Individuum, das den Flexibilitätszwängen mit mentaler wie emotionaler Erstarrung begegnet und von Selbstzweifeln überwältigt wird. 
[...] Wenn die narzisstische Kränkung durch die gesellschaftliche Struktur endemisch wird, kennt das Bedürfnis nach Kollektivstolz keinen Halt. So bieten die [...] internationalen Fußballmeisterschaften den [...] Subjekten eine willkommene Gelegenheit, ihren Versagensängsten zu entfliehen..."

"Wenn Stolz nicht auf eigene Leistungen, sondern auf der Identifikation mit den Erfolgen einer Gruppe beruht, kann man fragen, ob das Bedürfnis, stolz auf die Leistungen der eigenen Gruppe zu sein, nicht mit Selbstwertdefiziten zusammenhängt."
(Dagmar Schediwy: "Pech im Job, Glück im Spiel" / In: Jungle World Nr. 23, 7. Juni 2012)